Empowerment und Provokation: Eine These zur feministischen Bildpolitik im Spannungsfeld zwischen Theorie und visueller Praxis
- annacarnice
- 7. März
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Mai
Was können Bilder bewirken? Wie verändern sie unsere Sicht auf Körper, Macht, Identität – und wie können sie als feministische Strategie eingesetzt werden? Eine zeitgenössische Bildpolitik muss mehr sein als Repräsentation: Sie muss irritieren, herausfordern und zugleich stärken. Empowerment und Provokation schließen sich dabei nicht aus – sie sind zwei Seiten derselben politischen Bildsprache.
Feministische Bildpolitik: Zwischen Sichtbarkeit und Irritation
Im gekürzten Manuskript eines Vortrags von Annekathrin Kohout, erschienen am 06.01.2020 auf sofrischsogut.com, formuliert sie eine zentrale These, die mich nachhaltig beschäftigt hat: Ein feministisches Bild sollte im besten Fall gleichzeitig Empowerment und Provokation leisten. Diese Gleichzeitigkeit ist keine paradoxe Forderung, sondern Ausdruck eines komplexen Verständnisses davon, was Bilder in gesellschaftlichen Machtverhältnissen leisten können – und sollen.
Dass ich selbst viele feministische Bildstrategien – etwa Darstellungen von Vulven, menstruierenden Körpern oder nicht-normativen Weiblichkeiten – nicht als provozierend empfinde, liegt vermutlich an meiner eigenen sozialisierten Position: Ich verstehe mich als Frau, reflektiere feministische Diskurse aktiv. Doch genau hier beginnt die Problematik – oder besser: die politische Aufgabe. Denn feministische Bildpolitik darf nicht nur im geschützten Diskursraum ihrer Community zirkulieren. Sie muss hinaus – dorthin, wo sie widerständig wirkt.
Die Perspektive entscheidet: Wer sieht was – und warum?
Die Wirkung eines Bildes hängt wesentlich von der Betrachter*innensituation ab. Judith Butler hat in „Das Unbehagen der Geschlechter“ (1990) gezeigt, wie Geschlecht performativ hergestellt wird – durch Wiederholungen, durch Inszenierungen, durch Bilder. Was als „weiblich“ oder „männlich“ erscheint, ist kulturell gerahmt – und lässt sich ebenso kulturell irritieren. Bilder, die gängige Vorstellungen von Geschlecht durchbrechen, können für manche als Empowerment wirken – für andere aber als Tabubruch, als Grenzverletzung, als Zumutung.
Diese Ambivalenz ist nicht nur zulässig, sondern produktiv. Provokation, so verstanden, ist keine bloße Reizung – sondern ein Bruch im gewohnten Sehen, ein Stören hegemonialer Bildordnung. Und Empowerment wiederum bedeutet nicht zwangsläufig „Gefallen“ oder „Bestätigung“, sondern kann auch das Selbstverständnis destabilisieren, um es neu aufzubauen.
Feministische Ikonografie zwischen Sichtbarkeit und Sichtbarmachung
Die feministische Bildpolitik steht seit jeher im Spannungsfeld zwischen Sichtbarmachung (der eigenen Körper, Bedürfnisse, Erfahrungen) und Sichtbarkeit (im Sinne medialer Repräsentation). Donna Haraway beschreibt in ihrem berühmten Essay „A Cyborg Manifesto“ (1985), dass feministische Politik nicht länger auf „reine“ Identität oder Naturbezug zurückgreifen kann, sondern hybride, techno-politische Körper braucht – Cyborgs, die Kategorien wie Frau/Maschine, Natur/Kultur unterlaufen.
Bilder feministischer Politik sind oft solche „Cyborg-Bilder“: ambivalent, technisch produziert, teils künstlich, teils organisch – und gerade dadurch politisch brisant. Die digital verbreiteten Memes, Selfies, Protestplakate oder auch queer-feministischen Körperinszenierungen auf Social Media zeigen, dass es nicht um Authentizität geht, sondern um strategische Sichtbarkeit. Empowerment bedeutet hier nicht nur, sich selbst zu zeigen, sondern sich als Kollektiv zu formieren, das auf anderen Kanälen sendet als patriarchale Mainstream-Bildpolitik.
Sichtbarkeit für wen? Die Frage nach der Mehrheitsgesellschaft
In demokratischen Gesellschaften, so banal es klingen mag, bestimmt die Mehrheit – und diese Mehrheit ist häufig nicht feministisch geprägt. Hier verweist Seyda Kurt in „Radikale Zärtlichkeit“ (2021) darauf, wie Emotionen – Scham, Wut, Begehren – politisch wirksam sind (und in Bildern eine zentrale Rolle spielen). Die feministische Bildpolitik muss daher nicht nur die eigene Community stärken, sondern auch dort wirken, wo feministisches Denken noch nicht selbstverständlich ist. Die Störung der Wahrnehmung ist dann kein Nebeneffekt, sondern Methode.
Deshalb ist es klug – ja notwendig – feministische Bilder auch außerhalb des Safe Spaces zu platzieren. In Schulen, auf Plakatwänden, in Museen, auf TikTok. Nur wenn Bilder sowohl innerhalb als auch außerhalb der feministischen Blase zirkulieren, kann ein Diskurs entstehen, der tiefgreifende kulturelle Normen infrage stellt.
Vom Sehen zum Verstehen: Eine politische Bildethik
Erich Fromm betont in seinen humanistischen Schriften, dass Freiheit und Mündigkeit nur durch Selbstreflexion und kritisches Denken erreicht werden können. Bilder, die provozieren, stören oft den unmittelbaren Konsum – sie fordern heraus, Fragen zu stellen. Sie zwingen zum Denken. Genau hier liegt das ethisch-politische Potenzial einer feministischen Bildpolitik: Sie erlaubt keine passive Rezeption, sondern aktiviert.
Eva Hayward ergänzt diese Perspektive mit ihrem Begriff der „feministischen Optik“ (Hayward, 2010): Sehen ist niemals neutral. Unsere Wahrnehmung ist affektiv, von Körpern geprägt – und feministische Bildstrategien machen diese Körper nicht unsichtbar, sondern genau das Gegenteil: Sie überzeichnen sie, dehnen sie, reißen sie aus normativen Rasterungen heraus.
Bilder als Strategie – nicht als Dekoration
Feministische Bildpolitik kann und sollte nicht glatt sein. Ihre Aufgabe ist nicht, alle zu versöhnen, sondern Widersprüche sichtbar zu machen. Empowerment und Provokation sind keine Gegensätze, sondern wirken idealerweise als komplementäre Kräfte. Sie stärken und stören zugleich.
Nur so können feministische Bildpolitiken transformative Impulse setzen – für eine Gesellschaft, in der Geschlecht, Macht, Körper und Identität neu gedacht und neu gesehen werden.
Comentários