Wenn das Medium spricht: Wie Kommunikationsmedien unsere Wahrnehmung formen
- annacarnice
- 24. März
- 3 Min. Lesezeit
Ein Beitrag über Börsenticker, Instagram und die unsichtbare Macht der Vermittlung
„Das Medium ist die Botschaft“, sagte einst Marshall McLuhan – und tatsächlich: In der Kommunikationsforschung, spätestens seit der Medientheorie der 1960er Jahre, ist klar, dass Medien nicht bloß neutrale Kanäle sind. Sie greifen selbst aktiv in den Kommunikationsprozess ein. Urs Stäheli hat diesen Mechanismus eindrucksvoll am Beispiel des Börsentickers beschrieben – einer technischen Innovation, die Ende des 19. Jahrhunderts erstmals Börsendaten in Echtzeit übermittelte. Sein Text „Der Takt der Börse“ zeigt: Die Wahl eines Mediums verändert nicht nur das Wie, sondern oft auch das Was und Warum von Kommunikation.
Das Medium als Attraktion
Ein zentrales Argument Stähelis: Medien erzeugen Aufmerksamkeit für sich selbst. Der Börsenticker faszinierte nicht allein durch die übermittelten Informationen, sondern durch seine bloße Existenz. Das Rattern des Geräts, die sich drehenden Rollen, das kontinuierliche Tippen – all das machte ihn zur „Wundermaschine“, zum Zentrum von Aufmerksamkeit, Technikbegeisterung und Marktbeobachtung. Diese Faszination ließ den Inhalt fast zur Nebensache werden.
Ein solches Phänomen ist keineswegs historisch überholt. Auch heute konkurrieren soziale Medien nicht nur um Inhalte, sondern um die Benutzererfahrung selbst. Die „Story“-Funktion bei Instagram oder TikTok-Videos erzeugen durch algorithmisch gesteuerte Effekte, Sounddesign und Kürze ein hohes Maß an Bindung – unabhängig vom konkreten Inhalt. Die Art der medialen Inszenierung beeinflusst, wie und ob eine Botschaft überhaupt wahrgenommen wird.
Medien erzeugen kontextuelle Bedeutung
Stäheli zeigt weiter: Medien wie der Börsenticker transportieren mehr als nur Fakten – sie erzeugen Rahmeninformationen. Wenn der Ticker plötzlich schneller rattert, wissen Börsenhändler:innen auch ohne Text: Jetzt ist etwas los! Diese Dynamik beeinflusst Erwartungshaltungen und Deutungsmuster – noch bevor der eigentliche Inhalt decodiert wurde.
Übertragen auf digitale Medien: Push-Nachrichten, visuelle Alerts oder Tonhinweise setzen Signale, die Erwartungen erzeugen. Die ständige Verfügbarkeit von Informationen – etwa durch Newsfeeds – vermittelt eine dauerhafte Gegenwart, eine Zeitverdichtung, die nicht selten zu Überforderung oder Ablenkung führt. Die Rezeption von Information wird damit nicht allein vom Inhalt gesteuert, sondern maßgeblich vom Rhythmus und Interface des Mediums.
Zwischen Wahrnehmung, Verzerrung und Manipulation
Ein zentrales Argument von Stäheli lässt sich zuspitzen: Das Mitteilungsmedium formt nicht nur die Bedeutung einer Botschaft – es verändert sie. Die visuelle Aufbereitung, der Zeitabstand zwischen Versand und Empfang, die Textlänge, die Präsenz begleitender Bilder – all das beeinflusst, wie glaubwürdig, wie relevant, wie emotional eine Information wirkt.
Gerade in Zeiten digitaler Kommunikation ist das hoch brisant. Algorithmen steuern, welche Inhalte sichtbar werden. Aufmerksamkeit wird zur Währung. Dabei konkurrieren Sender – seien es Influencer:innen, Politiker:innen oder Unternehmen – um Reichweite, oft mit Mitteln der Überinszenierung oder Zuspitzung. Das führt zu einer zunehmenden Gefahr: Informationen werden nicht neutral aufgenommen, sondern in vorgefertigten Wahrnehmungsschablonen – den berühmten Filterblasen – verarbeitet.
Feministische Perspektiven: Wer sieht was – und warum?
Diese Beobachtungen rufen auch kritische Perspektiven auf den Plan – etwa aus der feministischen Theorie. Donna Haraway spricht vom situated knowledge – der Idee, dass jedes Wissen aus einer bestimmten Position heraus entsteht und niemals neutral oder allumfassend ist. Die Frage, wer spricht, wie etwas sichtbar gemacht wird, und welche Körper in welchen Medien repräsentiert oder ausgelassen werden, ist auch eine Frage der medialen Infrastruktur.
Eva Hayward etwa untersucht, wie Bildpolitiken des Körpers – etwa trans*, queere oder nicht-normative Körper – durch mediale Rahmung bestimmte Affekte erzeugen. Judith Butler betont, dass Anerkennung und Sichtbarkeit immer durch performative Akte strukturiert sind – das gilt auch für Medieninszenierungen, in denen bestimmte Narrative über Gender, Race oder Klasse überhaupt erst zirkulieren dürfen.
Medien sind niemals unschuldig
Was folgt daraus? Die Art des gewählten Mitteilungsmediums bestimmt maßgeblich, wie Informationen ankommen – nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch sozial, kulturell und emotional. In einer von Medien durchdrungenen Welt ist es daher zentral, diese Strukturen kritisch zu reflektieren. Wer wird sichtbar gemacht? Wer bleibt außen vor? Und wie kann man Medien nutzen, um nicht nur Information, sondern auch Teilhabe zu ermöglichen?
Medien sind keine neutralen Durchleiter. Sie sind Akteure in einem politischen, kulturellen und sozialen Raum. Wer das versteht, kann Kommunikation bewusster gestalten – und vielleicht auch gerechter.
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